No skin in the game

Alles ist Erzählung und Möglichkeiten.


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Ich sag ja immer, das
ist nicht virtuell, das sind
echte Menschen, auf die ihr
mit euren Hashtags linkt.

Und ihr zielt auf euch selbst
mit euren Youtube-Links.

Alles ist Erzählung und Möglichkeiten.
Alles kann verändert werden,
Bit für Bit.

Falschweg

Etwas
ohne mich selbst
bewegen.

Damals

Es war damals. Damals war wichtig, als Ort, als Gedenken, als Traum. Niemand bisher hatte damals vergessen, niemand ahnte, dass Vergessen eine Möglichkeit zu sein hatte, die Erinnerung zu bewahren. Es begann ohne dies.

Julian stand auf, schloss die Gardinen, setzte sich. Ohne draußen, das in den Raum schaute, war der Raum ein anderer. Julian mochte es, in neuen Räumen zu sitzen. Er sah sich um, sah an, sah auf die Dinge und memorierte den Weg seines Blickes. Er stand auf, stellte sich hinter den Sessel, spielte die erinnerte Blickführung ab. Alles war anders.

„Wie“, so sagte er laut, denn er mochte den Klang seiner Stimme in einem neuen Raum, und er lauschte auf den Klang und nach dem fehlenden Echo.
„Wie“, setzte er neu an, jetzt mit dem Klang vertraut, „wie kann es sein, dass die Dinge, die sich nicht verändern sollen, und ich schaue auf sie, wie ich im ersten Moment geschaut habe, und die Dinge sind anders? Oder sind es andere Dinge, die ich schaue? Mit dem gleichen Blick?“

Julian war sich selbst nicht klar, als die Dinge ihm unklar wurden. War das damals schon auch so?

„Ich war dabei, ich kann mich nicht erinnern. Wie kann es sein, dass ich mich an dieses damals nicht erinnere? Ja, ich erinner mich an vieles von damals und ich dachte, es wär alles. Also erinnerte ich mich an damals ganz, und mein Traum war ganz. Jetzt erinner ich mich nicht mehr ganz. Erinner ich mich also überhaupt? Mein Traum ist nicht mehr.“ Julian blieb steif stehen, um nicht zu verlieren: sich, die Dinge, die Blickführung, die falsch war und das beste, was ihm blieb. Eigentlich hatte er gedacht, neues zu mögen.
So endete damals.

Das Auto kam auf Julian zu. Erst langsam und klein, dann schneller und größer. So sah Julian es und stand, etwas steif, etwas zusammen gesunken, diese Haltung zu bewahren, die Perspektive nicht zu verändern, sondern sich auf das große und das kleine, auf das schnelle und das langsame Auto zu konzentrieren. Es kam weiter näher und hinter der Reflexion der Windschutzscheibe erschienen zwei Personen. Sekunden, in denen Julian seine Haltung nicht veränderte, ließen ihre Köpfe wachsen, bis sie fast so groß wie Julians Kopf waren. Sie sahen ihn nicht. Das Auto fuhr unter der Brücke durch, auf der Julian stand.

„Wieso bist du hier?“

„Man sagte mir, die Dinge hier wären so, wie sie sind. Und sie blieben so. Ich dachte, ich würde neues mögen. Dann hat neues das alte zerstört. Jetzt habe ich nichts.“

Julian war durch die Seitentür neben dem Tor ins Kloster eingetreten. Dabei erinnerte er einen Moment, der so ähnlich war, aber anders ausging. In der Erinnerung sah er einen Mann vor dem Kloster einen Schokoriegel essen und umdrehen. Julian dachte nicht, dass er der Mann in der Erinnerung war, wußte aber auch nicht, wer es war. Er könnte es also sein. In dieser Erinnerung ging er durch die Tür und sprach mit einem Mann in Kutte. Julian schaute an sich herunter, um festzustellen, ob er auch eine Kutte trug. Er tat es nicht und konnte sich so sicher sein, nicht der Mann ihm gegenüber zu sein.

„Du willst hier sein, weil du nicht woanders sein willst?“

„Wo wäre denn dies woanders?“

Das Gesicht oberhalb der Kutte, vor der Kapuze schaute ihn lange an, als hätte es Julians Frage nicht verstanden.

„Überall außer hier.“

Das Gesicht hatte ihn nicht verstanden. Julian wüsste gerne, wie es aussehen würde, wenn es ihn verstände. Das wäre auch neu und sicher irritierend. Aber Julian wusste, dass dieses neu gut sein würde. Er lächelte.

„Danke. Du hast mir geholfen.“

„Ich versteh nicht.“

„Kommst du mit mir?“ Julian wusste nicht, woher diese Frage kam. Sie war da, wie die Dinge einfach da waren. Julian erwartete, dass sie sich verändern würde. Sie tat es nicht, stand einfach im Raum hinter der Tür, durch die er gegangen war, anders als der Mann seiner Erinnerung.

Julian hatte jetzt zwei Erinnerungen. Er war auch durch die Tür gegangen. Es war also möglich, etwas zu tun und etwas nicht zu tun. Das waren zwei Dinge, die er neu gelernt hatte. Er dachte über beide nach und sie veränderten sich nicht, wie er sie auch ansah.

So begann jetzt.

Die Milchmädchenrechnerin

Lieschen Müller war eine wahrhaft begnadete Frau: Schon im zarten Alter von 5 5/7 Jahren beherrschte sie ausgebuffteste arithmetische Kalkulationen: Bigonometrie (eine einfachere Fassung der Trigonometrie), Desintegralrechnung (mit welcher man bestimmen kann, was alles nicht unter einer Kurve ist) und den seitlich eingesprungenen Dreisatz.
Solcherart von der Natur begünstigt, kalkulierte sie das exakte Gewicht der Füllung eines Karamel-Bonbons im Kopf auf den Gran genau, doch die anderen Kinder verachteten sie ob ihres Talentes und teilten nie die Bonbons mit ihr. Deshalb war Lieschen von einer tiefen Traurigkeit erfüllt und ihre einzige Freude war das Nachdenken über ihre Lieblingszahl, die Quadratwurzel aus Ï€.

Erst viele Jahre später, aus dem traurigen kleinen Mädchen war eine traurige junge Frau geworden, sollte sich alles zum Guten wenden, und dies geschah so:
Lieschen saß in einem Straßencafé, deprimiert, weil sie in ihrem Leben weder Freunde noch eine sinnvolle Aufgabe hatte und berechnete dabei, nur um sich vom Schmerz abzulenken, wie heftig ein brasilianischer Zitronenfalter mit seinen Flügeln schlagen musste, damit er den Hurrikan über dem Atlantik verursachte, dessen letzte müden Ausläufer Lieschens Tränen fortwehen würden. Die Antwort war: Nicht sehr heftig. Doch selbst diesen kleinen Gefallen verweigerte der Falter und so weinte Lieschen kleine, salzige Tränen auf ihr geblümtes Kleid.
Da sprang aus einem zufällig vorbeikommenden Gebüsch ein Gnom.
Zu dieser Jahreszeit passierte es in Kapitalia, der Hauptstadt Lattifundiens, oft, dass Gnome aus vorbeikommenden Gebüschen sprangen, den Anwesenden mathematische Rätsel stellten und sie für eine richtige Antwort mit leckeren Plunderteilchen belohnten. Gnome sind sehr berechenbar. Lieschen dachte, dass etwas Gebäck jetzt ganz gut zu ihrem Tee passen und vielleicht auch den salzigen Geschmack der Tränen überdecken würde. Also fragte sie den Gnom:
„Guten Tag, lieber Gnom. Stell mir dein Rätsel, ich habe Appetit auf ein leckeres Plunderteilchen. Und mach es schwer, denn ich hab es auch schwer.“
„Du bist dir ja sehr sicher“, sagte der Gnom und stellte sein Rätsel:
„An einem schönen Sonntag besucht ein Mann mit seinem Hund einen Freund. Am Nachmittag macht er sich auf den Rückweg: Acht Kilometer, und er spaziert mit gemütlichen Fünf Kilometern in der Stunde. Sein Hund freut sich auf das nahende Zuhause und läuft vor, mit zehn Kilometern in der Stunde. Sobald er am Haus ist, rennt er zurück zu seinem Herrchen, das in der Zeit ja auch weitergegangen ist. Dort angekommen, dreht er sofort wieder um und rennt zum Haus und das die ganze Zeit über. Wie viele Kilometer legt der Hund zurück?“
Lieschen beugte herunter und flüsterte dem Gnom ins Ohr.
„Respekt“, sagte der und zog seine Melone, „offensichtlich bist du auf die elegante Lösung gekommen, statt mit Differentialrechnung zu arbeiten.“
„Nicht ganz.“ Sie schaute verlegen in ihren Tee. „Ich hab es auf beide Weisen durchgerechnet.“
„Dann bist du ja eine Milchmädchenrechnerin! Komm mit mir, so ein Talent darf nicht vergeudet werden!“ Der Gnom nahm sie an der Hand und zog sie ins Gebüsch.
„Hoffentlich gibt es dort Plunderstückchen“, dachte Lieschen.

Lieschen wird schön.

Also ging Lieschen mit dem Kobold mit, um eine große Milchmädchenrechnerin zu werden. Obwohl, obschon, sie war ja bereits eine große Milchmädchenrechnerin, vielleicht sogar die größte, und sie spielte in einer anderen Liga, fern von Voll- und Halbfett, jenseits von Sahne und Butter, da, wo ein Edelschimmel etwas ganz alltägliches ist.
Das mag jetzt nach einer Lobhudelei klingen, aber genau darum ging es ja: Dass die Welt wüsste von Lieschen, der weltgrößten undsoweiter, denn was die Welt nicht weiß, das ist nicht in ihr. Deswegen bemühen sich ja auch die Bäume im Wald immer, erst umzufallen, wenn jemand zuhört.
Bäume bemühen sich allerdings nicht, nicht auf die Zuhörer zu fallen, weswegen eher vorsichtige Naturen lieber hinter dicken Mauern über fallende Bäume und die Geräusche, die sie verursachen nachdenken, statt sich der entgegenkommenden Botanik in den Weg zu stellen, was nur sehr kleine Bewohner des Waldbodens als gewinnbringend empfinden, die nicht unbedingt auf dem einwandfreien, weil ungeknickten Zustand ihrer Nahrung bestehen.
Und, ja, Lieschen wollte auch die versprochenen Plunderstückchen. Deswegen ging sie mit.

Die Gnome hatte eine Bank gegründet. Mitten im wunderschönen Stadtpark Lattifundias, der Hauptstadt von Lattifundien, am Ufer des Sees. Deswegen nannte man sie die Parkbank. Und es war eine sehr schöne Bank, aus feinstem Holz, so glatt poliert, dass man sich darin spiegeln konnte, dann vorsichtig eingeölt, mit Beschlägen aus getriebenem Messing. Selbst die Astlöcher waren wohlgeformt und zeigten Szenen aus der Mythologie der Gome. Deswegen hatte man die Bank auch nicht an der Südseite des Sees aufstellen können, in der Nähe des Kinderspielplatzes.

Auf diesem Aussenmobiliar saßen die Gnome dann den lieben langen Tag lang, blickten auf den See und genossen das Leben. Natürlich war nicht genug Platz auf der Bank für alle, denn Gnome sind zwar nicht sehr groß, doch lebhaft, zappelig geradezu, und auch zahlreicher als man denkt. Deswegen zogen viele von ihnen in Gebüschen durch die Lande und deswegen, um sich mehr und größere und schönere Banken leisten zu können, deswegen halfen sie den Einwohnern beim Umgang mit Zahlen, gegen das Zahlen von Zahlen, eher eigentlich für das Zahlen von Zahlen, an die Gnome und an die Ratsuchenden, auf jeden Fall aber von Leuten, die allgemein nur die Dritten genannt wurden und welche über diese Zahlen verfügten, die im allgemeinen auf Papier gedruckt wurden, vor allem weil man Obelisken oder Monolithe so schlecht durch die Gegend tragen konnte. Die Einwohner Lattifundiens verfügten zu ihrem tiefsten, doch eigentlich unbegründeten Bedauern nicht über Superkräfte und hatten deswegen ein eher praktisches Naturell entwickelt. Half ja auch weiter. Wie auch immer.

Das mit den Gebüschen und Plunderstückchen war tatsächlich das Marketing der Gnome. Irgend ein dankbarer Kunde hatte ihnen, als er feststellte, dass das Marketing-Budget sehr knapp sei, empfohlen, Gorilla-Marketing zu betreiben (Budget ist tasächlich etwas, was Gnome unter ihrer Wäsche tragen und über das sie lieber reden, als selbst einem aufgeklärten Menschen recht ist), doch hatten sich das Auftreten von 50 Zentimeter großen – oder kleinen – Primaten als wenig überzeugend erwiesen. Immerhin saß darin das Budget bequem.

Büsche dagegen spendeten Schatten, waren luftig und dann und wann gab es Beeren zum Naschen. Klare Sache das.

Lieschen also lag hinter der Bank im Grase oder auf einer Decke, auf jeden Fall aber auf dem Rücken, knabberte Kekse und Plunderstückchen, genoss den Tag und flüsterte den Gnomen die einfachsten Antworten auf die schwierigsten Fragen der Kunden zu. Ihr Ruf wuchs und wuchs und wuchs und reichte bald bis über die messingbeschlagene Lehne, den See, den Park hinaus.
So wurde Lieschen für die Welt nicht nur die größte Milchmädchenrechnerin, sondern auch die schönste, sogar die Schönste, manche sprachen sogar in Versalien von ihr, doch alle mit Ehrfurcht.

Lattifundier sind nicht nur sehr praktisch, sie verfügen auch über einen ausgeprägten Sinn für Schönheit und eine einfache Lösung für ein schwieriges Problem empfanden sie als so schön, dass sie sich zu einem enthusiastischen Kopfnicken hinreißen ließen. Wie gesagt, der gemeine Lattifundier ist eher praktisch-nüchterner Natur.
Kurz gesagt: Lieschen war glücklich. Damit könnte unsere Geschichte enden. Tut sie aber nicht.

A tip for the iceberg:

Don’t let the 90 percent
drown you.

Warum ich „Namen und Nummern“ schrieb

True Story.

Perspektivwechsel.

Ich bin klein / groß.

Ich schweige.
Das ist gut / schlecht.
Wen ich frage.

Dich frage ich
nicht mehr.

Aussprechendes Haiku

Wir könnten schweigend
die letzten Meter gehen.
Schnee wird eh zu Matsch.

 

Zukünftiges Haiku

Ich denk nicht an jetzt,
ich denk für übermorgen.
Flachgetretner Schnee.

 

Laue Nacht, wie meist

Der Boden ist nie fern,
nach oben wollt ich immer schon,
und dazwischen ist, was ist.

Ich hab dies niemals nicht gemeint
und immer schon gewollt, als ich
vom großen Scheitern sprach.

Ich kenn das alles aus dem Film,
dem Making of zum Buch zum Stück,
das immer von sich selbst erzählt.

Männer sitzen in Schaukelstühlen,
stören den Zikaden-Sound mit einem Schuss
aus Schrotgewehren.
Ich könnt den Weg dahin
so nicht gehen.

Nachricht aus der großen Stadt

Zum ersten Mal gesehn
den Mond seit langer Zeit.
Gut, dass er mich
nicht vergessen hat.

Formal falsch, inhaltlich richtig

Einzigste.

Amerika

Sie gingen dann weiter
und standen an
Strandpromenaden
und schauten aufs Meer.

Amerika als Ort,
wo sie gewesen waren,
gewesen sein würden,
wo sie was waren
und werden würden.

Sie standen an Strand-
promenaden, mit
Wind im Gesicht.

Haiku vom Anfang einer Reise

Vorher. Dann:
jetzt. Was dann noch kommt
kommt daher.

As simple as it gets.

Wenn du bei mir bist
denk ich an dich.

Wenn nicht
erst recht.

Get lost

I am 36 right now,
soon to be 35.

Von der Möglichkeit, man selbst zu sein, ohne sich umzubringen

Immer.
Immer war es
da; da war ich
dann.
Sonst nicht.

Jetzt.
Jetzt bin ich so.
Denn so bin ich
jetzt.
Einfach so.

Wort mit vier ‚o‘

Pornophobos.

Die Furcht vor Pornographie als eigene Entität, nicht die empfundene Furcht. Die wär Pornophobie.

Wie schrecklich.

Bewerbchen

„sich ein Bewerbchen machen“ – unter Vortäuschung einer Beschäftigung ein bestimmtes Ziel verfolgen.

Kettcar-Hörer

Vor der Markthalle, vor dem
Konzert, ans Geländer angelehnt,
Reclam lesend, dick und
gelb:
Hier ist er richtig.

Lechts »

 

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